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Sollbruchstellen - ein Sicherheitsrisiko? Von Alfred Schmitz, FSI Süd-Ost aus segelfliegen 5-2005
Manchmal gewinnt man schon den Eindruck vor Ort auf den Fluggeländen, dass so gedacht wird: die Sicherung, d.h. die Sollbruchstelle wird nicht ernst genommen. Wer liest schon ein
Handbuch? Wer weiß schon, was da
steht über Sollbruchstellen? Wer macht sich
Gedanken, dass eine Sollbruchstelle eine Sicherung ist?

An den Oldtimern stand und steht in der Nähe der Kupplung oft noch heute SB2 oder SB3. Die Bauvorschriften fordern, dass in der Nähe der Kupplungen die Festigkeitswerte für die Sollbruchstelle abzulesen sind. Dies ist auch meist der Fall. Die Anwendung sieht aber leider immer häufiger anders aus.
Beim Windenstart ist notwendiger Weise ein minimaler und ein maximaler Wert genannt. Minimal um einen sicheren Schlepp zu ermöglichen, und maximal um die Fluggeräte nicht zu überlasten.
Hier setzt jetzt die Diskussion ein. Da häufig immer leistungsfähigere Winden verwendet werden und dann bereits bei heftigem Anschleppen Sollbruchstellen reißen, kommt das Argument „wir müssen stärkere Sollbruchstellen verwenden, die vorgesehene ist viel zu schwach". Das wird dann auch vielfach gemacht! Hier gilt jetzt die Erfahrung aus dem Strombereich.
Wenn schon Sicherung, dann auch die richtige um die Sicherheit zu
gewährleisten. Außerdem, wer haftet, wenn etwas passiert?! In der Schulung der Lehrer, sonst der Pilot, ggf. der Vereinsvorstand bzw. evtl. auch der Halter?
Konstrukteure bieten immer
leistungsfähigere Segelflugzeuge mit immer besseren Flugeigenschaften an. Sollten sie
tatsächlich nicht in der Lage sein, die richtige Stärke der Sollbruchstelle zu berechnen?
ZUR PRAXIS: Es wird durch die SBO (Segelflugsport-Betriebs-Ordnung, die im Segelflugbetrieb zur Schulung bindend ist und ansonsten im Falle von Unfällen wie die DIN-Norm durch die Staatsanwälte zu Rate gezogen wird) die Ausrüstung der Windenseile vorgeschrieben. Dabei ist zu beachten, dass nicht das Seil, sondern die
Seilaus- stattung mit Ringpaar, Vorseil, Dämpfungsseil, Fallschirm und
Sollbruchstelle den Prüfrichtlinien unterliegen. Daher ist es auch kein Problem z.B. die neuen Kunststoffseile zu verwenden, sofern die Seilausstattung der SBO
Vorgabe entspricht. In der SBO wird auch die Anordnung der Sollbruchstellen geregelt.
Die
Stärke ist aber den jeweiligen Kennblättern bzw. den Flughandbüchern (an Bord
mitzuführen!!) zu entnehmen. Es hat sich gezeigt, dass in der Regel bis zu 3
Wechselsätze von Sollbruchstellen für die meisten Flugzeugtypen ausreichen.
Schnellwechseleinrichtungen ohne die früher üblichen Schraubkarabiner haben
sich inzwischen fast überall durchgesetzt.
Bei Tost gibt es einen sehr ausführlichen Katalog der Sollbruch-Einsätze und
eine Auflistung der Zuordnung zu den einzelnen Flugzeugtypen.
IM FLUGBETRIEB wird beim Thema Sollbruchstellen, Seilrissübungen,
sicherer Windenstart in letzter Zeit mehr und mehr „gesündigt". Das
Sicherheitsbewusstsein hat offenbar gelitten.
Gleichzeitig ist beim Segelfliegen der Übungsstand an der Winde zurückgegangen.
Die Startzahlen gehen durch die Tendenz zu längeren Flügen und durch die stets
steigenden Kosten für Übungs-platzrunden zurück. Die Folge ist, dass sowohl
die Piloten, als auch die Windenfahrer viel weniger Startzahlen in den einzelnen
Startarten erreichen als in der Vergangenheit. Dabei werden die Winden immer
leistungsstärker und das Risiko bei den Starts nimmt zu.
In Heft 2/2005 wurde in einer Ausgabe gleichzeitig in drei Artikeln das Problem
der Windenstarts beleuchtet. Es wird durch mehr und mehr „Störungen",
Startunterbrechungen und leider auch Unfälle deutlich, dass es nicht so einfach
ist Windenstarts zu automatisieren, sondern dass der geübte
und Typen erfahrene Windenfahrer nach wie vor unersetzlich ist. Aus den
genannten Artikeln geht auch die Bedeutung der „richtigen"
Sollbruchstellen im Windenstart bereits hervor.
SINN EINER SOLLBRUCHSTELLE ist, wie der Name schon sagt, eine
gezielt erzeugte Startunterbrechung. Dafür gibt es mehrere Gründe, z.B. die
Gefahr der Überlastung des Segelflugzeuges durch zu hohe
Schleppgeschwindigkeiten und damit entsprechend hohe Auftriebskräfte am Flügel,
die die rechnerisch „sichere Last" an irgendeiner Stelle des Kräfteverbands
überschreiten. Diese Belastung auf den Tragflügel-Rumpf-Anschluß, die im
Freien Flug als „g"-Belastung, d.h. als Sitzdruck wahrgenommen wird, ist
im Windenstart durch den Piloten nicht spürbar. Da der Rumpf über die
Kupplung, die Sollbruchstelle und das Seil mit der Winde verbunden ist, kann der
Flügel ihn nicht „hochreißen", was dann als Beschleunigung vom
Piloten empfunden würde. Gleichwohl sind die Kräfte aber vorhanden und bei
rechnerisch etwa 4,0g bis 4,4g wird die Sollbruchlast erreicht. Dabei ist noch
zu berücksichtigen, dass an der Kupplung durch Querkräfte asymmetrische Lasten
auftreten können, die die Konstrukteure nur bedingt alle „sicher" in den
Konstruktionsvorgaben voraussehen können und die dadurch ebenfalls
Abminderungrn der zulässigen Sollbruchstellenstärke
erfordern.
Da das Überschreiten der Belastungsgrenze der zulässigen Sollbruchstelle
sowohl durch zu heftiges Anschleppen als auch beim Durchfliegen einer
Thermikblase schon passieren kann, sind auch bei grundsätzlich korrekten
Schlepps „Seilrisse", d.h. Sollbruchstellenrisse nicht ganz auszuschließen,
wenn man die Flugzeugstrukturen nicht überfordern will. Aus diesen Überlegungen
werden Seilrissübungen während der Schulung gefordert und meist auch
konsequent gelehrt.
Dabei fällt den Flugsicherheitsinspektoren bei Ihren Geländebesuchen auf, dass
da wo konsequent Grenzflugzu- stände geübt werden, auch sonst ein harmonischer
und Sicherheitsoptimierter Flugbetriebsablauf zu sehen ist.
Leider wird die Notwendigkeit und Richtigkeit von Sollbruchstellen in letzter
Zeit mehr und mehr angezweifelt, zum Teil mit sehr zweifelhaften Argumenten, bis
hin zu der Behauptung, „durch Seilrissübungen wird der Flugbetrieb nur unnötig
gefährlich". Ein Spruch, der durch die Erfahrung an den großen
Flugschulen wie Örlinghausen und Unterwössen eindeutig wiederlegt wird. Nur
wer Übung hat, wird bei einem unerwarteten Seilriss, der vielleicht erst nach
Jahren wieder einmal passiert, spontan richtig reagieren und die Situation
problemlos meistern.
Auch
das Argument „es wurde noch nie ein Flugzeug an der Winde zerrissen" kann
nicht gelten. Erstens darf es nicht herausgefordert werden und zweitens wurde
zum wiederholten Male zuletzt 2004 eine Windenkupplung aus dem Rumpf gerissen.
Die Struktur erreicht, wie im Bild (siehe Foto unten) gesehen,

auch da
ihre Grenzen, wo die Kräfte von den Kupplungen eingeleitet werden. Hier
ist es in der Vergangenheit sehr wohl des Öfteren zu massiven Schäden gekommen
und zwar sowohl bei der „Bodenkupplung" als auch bei der Bugkupplung.
MÖGLICHE RISIKEN IM WINDENSTART, die durch die „richtige"
Sollbruchstelle gemindert werden sollen:
Brutales Anschleppen mit anschließendem
heftigen Aufbäumen zum „Kavalierstart"
Überfahrt im Schlepp mit Überlastung
der Struktur durch zu viel Auftriebskraft zur Kompensation des Seilzuges
- Abkippen am Seil durch extreme
Anstellwinkel, dies ggf. auch in Verbindung mit Überfahrt. Letzteres führt
in der Regel zu seitlichem Abkippen mit einer Rollbewegung bis zur Rückenlage
und dabei evtl. sogar „Einfangen" des Schleppseils mit der Tragfläche.
Solche Unfälle passieren in
allen Phasen des Schlepps und verlaufen leider meist tödlich.
Das Phänomen „Überziehen und Abkippen am Seil" ist auch von
„Windvögeln" und Flugmodellen bekannt. Speziell die
„Freiflieger" unter den Modellfliegern wissen, dass ggf. nur
durch „Loslassen" des Schleppseils ein Bruch vermieden werden kann,
wenn das Modell unerwartet im Schlepp in eine Thermikblase einfliegt.
Daraus folgt, dass im Falle des „Überziehens am Seil" mit seitlicher
Abkipptendenz die Sollbruchstelle zwingend unterbrechen muss, damit der
Pilot in die Lage versetzt wird, das Flugzeug in die Normallage zurückzuführen.
FAZIT: es stimmt nicht, dass durch kräftiges Ziehen und damit größere
Last am Seil mehr Höhe erreicht wird. Aus jahrzehntelanger Erfahrung, vor
allem mit den früher teils nur 90 PS
(!) starken Pfeiffer-Winden ist bekannt, dass die empfohlene
Schleppgeschwindigkeit, die die Konstrukteure in ihren
Handbüchern angeben, die optimale Höhe erbringt, sofern der Windenfahrer
das nötige Gefühl mitbringt und der Pilot „mit Gefühl", das heißt
mit etwa 2-3 daN Handkraft, den Steigwinkel unterstützt. Die Anordnung der
Kupplungen ist in allen bei uns üblichen Segelflugzeugen gut ausgelegt.
Lediglich der Bodeneinstellwinkel beim Rollen lässt bei manchen Flugzeugen
Wünsche offen. Hier kann „heftiges" Anschleppen aber auch keine
Abhilfe bringen und den Rollweg ohne Risiko eines „Steilstarts" verkürzen.
Die richtige Sollbruchstelle ist unverzichtbar und ist bei
„gekonnten" Windenstarts auch immer ausreichend!
BEIM FLUGZEUGSCHLEPP ist in alten Kennblättern und Handbüchern
vielfach noch ein unterer und oberer Wert für die Festigkeit der
Sollbruchstellen zu finden. Dies ist heute überholt. Falls noch Handbücher
solche Angaben aufweisen, ist entweder mit dem Büro Flugsicherheit beim
DAeC oder direkt mit dem Hersteller hier Änderung zu erwirken. In Einzelfällen
kann es sonst vorkommen, dass aus diesem Grunde Motorsegler oder UI's solche
Segelflugzeuge nicht schleppen dürfen, da der zulässige Minimalwert der
Sollbruchstelle für die Schleppmaschine nicht ausreicht. Beim F-Schlepp
wird mehr als beim Windenstart gegen eindeutige Regeln verstoßen. Immer
wieder finden sich Schleppseile völlig ohne Sollbruchstellen und mit
Bruchlasten im Neuzustand von mehr als 3 Tonnen! Die Bauvorschriften
schreiben eine rechnerische Bruchlast der
F-Schlepp-Seile von wenigstens 500 daN vor. Es gibt eine Empfehlung die mit
den Herstellern und dem LBA aufgrund der Schlepp-Erprobung für Motorsegler
erarbeitet wurde. Diese Empfehlung besagt, es sollten standardmäßig 300
daN starke Sollbruchstellen verwendet werden und zwar in Langlochschaltung.
Wie ist das zu verstehen?
VOR DEM BRUCH (Zerreißen) einer Sollbruchstelle wird diese
„bleibend verformt", d.h. so gedehnt, dass sie länger und dünner
wird und schließlich reißt. Wenn man jetzt eine zweite, gleich starke
Sollbruchstelle mit einem Langloch parallel schaltet so kann es sein, dass
ein plötzlicher Ruck die Sollbruchstelle zerreißt, dabei aber so gedämpft
wird, dass nun die zweite parallel geschaltete Sollbruchstelle in Kraft
tritt und erst nach dem Schlepp die kurzzeitige Überlastung entdeckt wird.
(Siehe auch „träge" und „flinke" elektrische Sicherungen).
Diese Parallelschaltung von einer normalen und einer „Langloch"-Sollbruchstelle
hat sich auch im Windenstart gut bewährt und setzt natürlich voraus, dass
die Schutzhüllen entsprechend gepflegt und seitlich so offen sind, dass die
Bruchstücke auch sofort erkannt werden.
Wie kommt es nun zu der Empfehlung, im F-Schlepp generell die „grüne"
300 daN Sollbruchstelle zu verwenden?
-
Konstantes Üben und sorgfältiger
Umgang mit den Sicherheitsregeln verspricht viele schöne, unfallfreie Flüge.
Und bitte vor allem im F-Schlepp nie mehr dicke Perlonseile ohne, oder ohne
die richtige Sollbruchstelle verwenden!
ZUR PRAXIS:
Im Rahmen der Schleppversuche in Unterwössen zur Erprobung des
Motorsegler-Schlepps hat sich gezeigt, dass bei Versuchen, bei denen
„Ausklinken vergessen" demonstriert wurde und mal der Segler einfach
„wegflog", mal die Schleppmaschine „abtauchte", jeweils ohne
auszuklinken (!!) maximale Kräfte an der Kraftmessdose von 330 daN gemessen
wurden, um ggf. eine Trennung der beiden Flugzeuge zu erreichen. Das heißt,
es stehen im Notfall keine höheren Kräfte zur Verfügung um das
Schleppseil zu zerreißen!
Aus dieser Erkenntnis heraus entstand die Empfehlung, die 300 daN
Sollbruchstelle generell einzusetzen.
Wenn in den Handbüchern der Segelflugzeuge höhere Sollbruchwerte angegeben
sind, so handelt es sich bisher ausschließlich um den Wert, den die
Kupplung bzw. das Flugzeug maximal zulassen.
Sollte in den Handbüchern moderner Segelflugzeuge eine
„Mindestforderung" zu finden sein, so wird auch hier bereits mit den
Herstellern verhandelt.
Wichtig ist dabei zu
beachten, dass vor allem UI's teilweise max. 300 daN, in Einzelfällen noch
weniger zulassen, um die Querkräfte an den Rümpfen nicht gefährlich hoch
werden zu lassen.
FAZIT: Es gibt immer wieder Diskussionen in den Vereinen, die
„grüne" Sollbruchstelle sei zu schwach. In Unterwössen, an einem
„anspruchsvollen Platz" also, gibt es wohl die
umfassendste Erfahrung und keine Probleme mit der „grünen"
Sollbruchstelle. Da alle Schleppflugzeuge in der Klasse „180 PS"
maximal 300 daN Standschub aufbringen, ist der kritischste Kraftbedarf beim
Anschleppen abgedeckt. Im „unbeschleunigten Flug"
treten im F-Schlepp max. Kräfte von 25 daN auf. Lediglich bei Übungen wie
„Kästchen" oder „Klappen öffnen nach starkem
Seildurchhang" könnte es im Extremfall zum Reißen der Sollbruchstelle
kommen. Allerdings muss dazu auch stark „übertrieben" werden, wie
sich im Laufe mehrerer UI-Schlepp-Lehrgänge herausgestellt hat, bei denen
es bisher noch nie zu einem Sollbruchstellenriss gekommen ist.
segelfliegen
5 . 2005
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